Geister, Gauner und Gastritis

Spooky, Scary, Skeletons!
Auch im Klinikum St. Marah ist die Spooky-Season eröffnet. Doch etwas anders, als man es vielleicht gewohnt ist. Ein Dieb schleicht durch das Krankenhaus. Oder ist es doch ein Gespenst? Eher unfreiwillig wird Chefarzt Dr. Strangelove in einen mysteriösen Fall hineingezogen. Kommt er dem Geheimnis auf die Spur?


< Zu Folge 3


Seit Tagen regnete es in Strömen vom Himmel und immer wieder zuckten Blitze durch die schwarzen Wolken. Niemand konnte sich wirklich daran erinnern, wann die Sonne sich zuletzt gezeigt hatte. Und der Wetterbericht für die kommenden Tage hielt auch wenig Erfreuliches bereit.
So kam Dr. Strangelove an diesem Abend, völlig durchnässt und schnellen Schrittes, zur Eingangstür des St. Marah Klinikums herein. Da die anhaltenden Wassermassen das Vorankommen mit sämtlichen Verkehrsmitteln verhindert hatten, war er nun reichlich spät und in Eile. Schlitternd kam er vor dem Empfangstresen zum Stehen.
“Guten Morgen Itze! Ich brauche schnell die Einlieferungsakte und dann kann ich direkt - …”, er verstummte, als er aufschaute und auf den leeren Bürostuhl blickte.
Er sah sich um, doch von dem kleinen Sheltie fehlte jede Spur.
“Itze?” rief er nun etwas lauter.
“Hier”, piepste es leise zurück.
Verwirrt versuchte Dr. Strangelove herauszufinden, woher das Geräusch kam.
“Wo zur Hölle stecken Sie?”
Ein kleiner, zitternder Wikingerhelm schob sich unter der Tischplatte hervor, gefolgt von einem paar runder, angsterfüllter Knopfaugen.
“Soll ich jetzt wirklich fragen, was Sie da unten machen? Können Sie bitte herauskommen?” versuchte der Doc, ihn so freundlich wie möglich hervorzulocken.
“Niemals!”, quietschte Itze ängstlich zurück.
“Wenn Sie nicht wollen, dass ich hinter die Theke komme und sie herauszerre, dann kommen Sie jetzt bitte hervor, damit wir uns unterhalten können!”
Insgeheim hoffte Strangelove, dass es keinerlei körperlicher Anstrengung seinerseits bedurfte.
“Aber hier spukt es!”, flüsterte der Empfangshund halblaut.
Ungläubig starrte das Capybara zurück. Na klar, hier ist ja auch ständig irgendwas Neues, warum keiner arbeiten will.
“Ist dieser ominöse Spuk denn gerade hier mit uns im Raum?”
Ein wütendes Schnauben erklang: “Sehr witzig! Natürlich nicht! Es spukt in der oberen Etage. Ich habe es gesehen! Das ist mir alles direkt auf den Magen geschlagen. Ist bestimmt direkt eine Gastritis!”
Ein lauter Donner erklang von draußen und Itze zuckte so heftig zusammen, dass er ein paar Akten vom Empfangstisch stieß. Die großen Leuchtstoffröhren über ihnen flackerten kurz, beruhigten sich aber schnell wieder.
Strangelove atmete tief ein: “Okay. Was genau haben Sie gesehen?”
“Ich sag nichts mehr!”, quietschte Itze, nun wieder von unter dem Tresen. “Steht sowieso alles in der Zeitung!”
Der Doc runzelte die Stirn: “Welche Zeitung?”
“Na die Klinikum St. Marah Themen! Hugin verteilt die einmal im Monat. Die neueste Ausgabe liegt in der Kantine.”
Here we go again, dachte der Chefarzt sich. Er ließ Itze im Empfangsraum zurück und schlurfte, begleitet von gelegentlichem Donner, in den Speisesaal.

Als er die großen Türflügel aufstieß, sah er vor sich erstmal nicht viel. Gedimmte Lampen und viele Kerzen tauchten die Mensa in ein düsteres Licht. Traurig bemerkte Strangelove, dass es sich lediglich um LED-Kerzen handelte. Schade, wohl doch kein vorzeitiger Feierabend.
Die Szenerie wurde nur kurz heller, wenn vor den großen Fenstern Blitze zuckten. Der Arzt kniff die Augen zusammen, da kam auch schon eine große Gestalt auf ihn zu. Schwarze Schwingen ragten vor ihm auf und er erkannte zwei sehr lange und spitze Eckzähne.
“Was um alles in der Welt…?”
Lurchi drehte sich einmal um die eigene Achse.
“Gefällt Ihnen mein Kostüm? Ich bin eine Fledermaus!”
“Kostüm? Wieso?”
Schnaubend deutete die Drachin auf die Deko im Raum.
“Doc. Es ist Halloween! Warum sind SIE eigentlich nicht verkleidet?”
Irritiert schaute Strangelove sich um. Tatsächlich. Nun erkannte er auch viele geschnitzte Kürbisse und kleine Gespenster-Figuren, die in der gesamten Halle verteilt waren.
“... Sie wissen doch, welchen Tag wir gerade haben?”, fragte Lurchi und zog eine Augenbraue hoch.
“Ähm…” überlegte Strangelove laut, “Diens… ähm…”
Lurchis Augenbraue hob sich noch ein Stück.
“Mittw…”
Noch ein Stück.
“Donnerstag!”, rief Stanglove schließlich.
“Es ist Montag.”
Nun. Das konnte ja mal passieren.
“Wie auch immer” und das Capybara hob abwehrend die Pfoten.
“Eigentlich bin ich auf der Suche nach dieser ominösen Krankenhaus-Zeitung, von der natürlich wieder alle wussten, außer mir.”
“Klar, liegt auf dem Tisch da hinten.” und Lurchi machte eine Klauenbewegung in den hinteren Teil des Raumes.
Gelegentlich im Halbdunkel gegen ein paar Tische und Stühle polternd, bahnte Strangelove sich seinen Weg zur Informationsquelle.
Durch das wenige vorhandene Licht, musste er die Augen zusammenkneifen, um etwas erkennen zu können. Aber auch das wollte nicht so recht gelingen. Also schnappte er sich eine etwas größere Kerze in Reichweite und hielt sie an das Papier.
Tatsächlich stand dort: “Klinikum St. Marah Themen - Ausgabe 357”
Dreihundertsiebenundfünfzig? Und er hatte keine einzige davon gelesen oder auch nur den Hauch einer Ahnung gehabt, dass die Zeitschrift existiert.
Wenn er sich die Titelseite allerdings etwas genauer ansah, dann konnte er sich schon vorstellen, warum: Sie sah furchtbar aus. Haufenweise Schreibfehler, furchtbare Bilder und… ah ja. Unten in der Ecke stand: “Designed and Printed by Flinkbot”
“Verdammte KI” murmelte Strangelove und widmete sich nun der Titelstory.

Gespenst gesehen! - Spukt es im Klinikum St. Marah?

Seit einigen Wochen häufen sich seltsame Vorfälle im allseits beliebten Krankenhaus. Wie in Ausgabe 340 zu lesen war, verschwinden nach wie vor die Socken von Mitarbeiter:innen und Patient:innen spurlos. Dieses Mysterium ist bis heute nicht aufgeklärt und die Fälle der verschwundenen Fußbekleidungen reißen nicht ab.
Als wenn dies nicht schon schrecklich genug wäre, treibt nun wohl auch noch ein Geist sein Unwesen in den Räumen der Heilanstalt. Ein Rumoren soll sich durch die Wände vernehmen lassen. Und mehrere Personen wollen eine Gestalt in den oberen Stockwerken gesehen haben. Wie Sie alle wissen, ist das oberste Stockwerk aufgrund mehrerer Schäden und Mängel derzeit geschlossen, bis die Reparaturarbeiten beendet sind. Dennoch sieht man vor allem nachts häufiger einen blauen Lichtschein durch die Fenster. Ihr mutiger Reporter hat es sich natürlich nicht nehmen lassen, selbst einmal einen Blick auf die Situation zu werfen. Leider muss ich Ihnen jedoch mitteilen, dass ich keinerlei ungewöhnliche Dinge entdecken konnte. Allerdings hörte man ein schauriges Säuseln durch die leeren Flure hallen.
Das Redaktionsteam wird sich beraten und gegebenenfalls jemanden mit mehr Expertise in paranormalen Begebenheiten zu Rate ziehen. Sollte es Neuigkeiten zu diesem Fall geben, erfahren Sie es hier zuerst!

Warum hatte er bis jetzt noch nie etwas von all dem gehört? Wie lange ging das schon so?
“Wissen Sie, wo Hugin sich gerade aufhält?”, rief Strangelove quer durch die Kantine.
“Der ist doch immer unterwegs, auf der Suche nach der nächsten Story. Keine Ahnung, wo er gerade steckt", antwortete die große Fledermaus-Drachin aus der Küche.
Der Chefarzt wünschte sich, dass er einmal nicht durch das komplette Krankenhaus laufen müsste, um ständig jemanden zu suchen.
Seufzend stand er auf und bewegte sich wieder in Richtung Tür. Als er an den großen Fenstern zum Klinikumsgarten vorbeilief, zuckte ein greller Blitz durch den Himmel und erleuchtete für Sekunden auch den Außenbereich taghell. Erschrocken machte Strangelove einen Satz zurück. Draußen stand, im strömenden Regen, eine riesige Gestalt mit einer Sense. Angestrengt späte das Capybara in die Dunkelheit. Doch als erneut ein Blitz die Szenerie in helles Licht tauchte, war die Gestalt verschwunden. Kopfschüttelnd wandte er sich vom Fenster ab. Sicher hatte er sich das nur eingebildet. Bloß nicht zu viel darüber nachdenken. Schnellen Schrittes verließ er die Kantine.

Als er den langen Gang wieder Richtung Eingang zurück lief, schaute Strangelove im Vorbeigehen in alle Räume. Irgendwo musste der Vogel ja sein. Oder jemand, der ihn gesehen hatte. Aber bis auf einen älteren Patienten auf dem Weg zum Snackautomaten, traf er niemanden. Erst jetzt fiel ihm auch die vereinzelte Halloween-Dekoration auf, die jemand hier und da verteilt hatte. In manchen Gängen hingen sogar Girlanden mit Fledermäusen, Gespenstern oder Kürbissen. Als Strangelove gerade um die Ecke bog, hörte er hinter sich eine laute Stimme: “Herr Ose! Ich habe Ihnen schon so oft gesagt, dass Sie hier nicht einfach umma flaniern* können. Sie haben strenge Bettruhe!”
“Detlef, Schwester Sabi! Sie sollen mich doch Detlef nennen. Herr Ose ist mein Großvater”, lachte der ältere Mann.
“Schluss jetzt. Heast*, Sie müssen zurück. Kommen Sie!” entgegnete Schwester Sabi freundlich aber bestimmt. Dann kam sie, den älteren Herrn untergehakt, auch schon um die Ecke.
Beim Vorbeigehen nickte sie Strangelove zu, der sie etwas verwirrt zurück grüßte. Sie trug einen langen schwarzen Umhang über ihrem Schwesternkittel und hatte sich weiße, große Eckzähne aus Plastik angesteckt. Auf der Vorderseite ihrer Kleidung prangte ein großer Button: “I’m not a vampire - I’m a vegetarian
“Aber ich wollte doch nur snacken!” rief Herr Ose, während er sich von der großen Saurier-Dame über den Gang zurück in sein Zimmer schleifen ließ.
Da es nicht aussah, als würde sie Hilfe brauchen, setzte der Doc seinen Weg fort. In dieser Situation hatte er Schwester Sabi auch nicht nach Hugin fragen wollen.
Die Behandlungsräume waren alle leer und nur hier und da summte ein PC im Standby-Modus. Es war ausgesprochen ruhig im Klinikum. Jedoch wusste das Capybara, dass es hier meist nur eine Frage der Zeit und die Ruhe von kurzer Dauer war. Jede Minute musste man mit Geschrei oder einer Explosion rechnen. Oder einer der anderen unzähligen Überraschungen, die sowohl Mitarbeitende als auch Patient:innen auf Lager hatten. Und immer wenn er dachte, dass er nun aber wirklich schon alles erlebt hatte, bewies man ihm das Gegenteil.

Wieder am Empfang angekommen, rief er nach Itze, der immer noch unter dem Empfangstresen kauerte. Diesen hatte er mittlerweile zu einer Art Festung umgebaut, indem er auf dem Tresen mehrere Stapel schwere Aktenordner gelegt hatte, durch die er nun vorsichtig schaute.
Kurz überlegte Strangelove, ob er das Bauwerk kommentieren sollte, entschied sich aber dagegen. Es war ihm eigentlich auch egal.
“Okay. Ich bin nun immerhin ein wenig im Bilde. Aber jetzt bin ich auf der Suche nach dem Chefredakteur dieses Druckerzeugnisses. Sie wissen nicht zufällig, wo ich ihn finde?”
“Er war heute Morgen hier”, hörte er die gedämpfte Stimme durch die Ordner, “Hugin wollte sich die oberen Stockwerke mal bei Tag ansehen, um nach Spuren zu suchen.”
“Geister hinterlassen Spuren?”, fragte der Doc amüsiert und man hörte ein empörtes Schnauben von der anderen Seite des Forts.
“Schon gut, schon gut. Danke” und er wandte sich zum Gehen.
“Moment!” rief es da erneut, “Ich wollte Ihnen noch mitteilen, dass Spyfox hier ist, um ebenfalls in der Sache zu ermitteln!”
Verwirrt drehte Strangelove sich wieder um.
“Wer?”
“Spyfox! Die großartige Detektivin! Hugin hat sie um Hilfe gebeten, nachdem sie letzten Monat schon den geheimnisvollen Fall des Lachsbrötchendiebs in der Kantine im Handumdrehen gelöst hat.”
“Ach, Fuchs!” rief der Doc, “Also hängt sie trotz Kündigung und neuem Job doch immer noch ständig hier rum?”
“Na hier gibt es eben viel zu tun!”, nickte Itze bekräftigend.
Strangelove winkte ab und wandte sich erneut in Richtung Fahrstuhl.
“Die Fahrstühle gehen übrigens nicht”, hörte er hinter sich noch.
Dann nahm er mürrisch die Treppe.

Es war ungewöhnlich still in den Gängen des Klinikums. Und dunkel. Ihm war zwar nicht bekannt, dass es einen Stromausfall gab, aber offenbar hatte sich trotz der Dunkelheit, welche sich vor den Fenstern ausgebreitet hatte, niemand daran gedacht einen Lichtschalter zu betätigen. Nur ab und zu erhellte ein Blitz die Krankenhausflure für einige Sekunden. In den Mitarbeiter:innen-Büros in der ersten Etage brannte auch kein Licht. Es können hier doch unmöglich alle immer ständig Urlaub haben? Also alle außer Bergy. Schon von weitem konnte Strangelove einen großen, bunten Zettel an dessen Bürotür sehen. Seufzend erklomm er den nächsten Treppenabschnitt.
Doch auch im Patient:innen-Trakt des Krankenhauses herrschte eine gespenstige Stille. Ab und zu bildete er sich ein, dass er jemanden im Augenwinkel durch einen der Gänge huschen sah. Aber in dem fahlen Licht der Notbeleuchtung konnte er einfach nichts erkennen. Was er dagegen deutlich sah, waren die neuen Bilder an den Wänden, denn denen hatte man kleine LEDs spendiert, die diese ausleuchteten. Neben den sehr flauschigen Vögeln im Erdgeschoss hingen hier nun auch Kraken-Gemälde und Bilder von kleinen Hunden mit sehr großen Augen. Und wie auch die anderen Kunstwerke waren diese unterzeichnet mit Wild. E. Reise. Er musste bei Gelegenheit wirklich mal nachfragen, wer diese Person war und warum ausnahmslos alle Bilder im Krankenhaus von dieser stammten.
Als er die nächsten Treppen bestieg, hörte er von weiter oben lautes Gepolter und ein: “Halt! Bleib doch hier!”
Kurz darauf rauschten er und ein großer, schwarzer Vogel so stark zusammen, dass Strangelove sich mit aller Kraft am Treppengeländer festklammern musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Mit der anderen Pfote packte er Hugin am Flügel, sonst wäre dieser durch die Wucht des Aufpralls die Treppe heruntergefallen. Es dauert ein paar Sekunden, bis beide wieder sicher auf den Stufen standen und Fuchs im oberen Stockwerk erschien.
“Alles in Ordnung da unten?”, rief sie etwas besorgt.
“Wie man’s nimmt”, gab der Doc zurück und strich sich über seinen Arztkittel, dann schaute er den Raben an.
“Geht’s?”
Der Vogel nickte.
“Ja ja. Aber ich gehe auf keinen Fall wieder da hoch!”, echauffierte er sich.
Fuchs rollte mit den Augen.
“Da ist nichts. Und DU wolltest doch, dass wir da oben nachgucken und ich den Fall löse. Alles für die Zeitung!”
Hugin schüttelte heftig den Kopf: “Aber ich war nicht darauf vorbereitet, dass wir ein richtiges Gespenst treffen!”
Strangelove schaute zwischen den beiden hin und her.
“Moment: Ihr habt tatsächlich einen Geist gesehen?”
Fuchs schnalzte mit der Zunge: “Wir haben etwas gesehen. Aber das war sicher kein Geist.”
“Na noch schlimmer”, rief Hugin, “Dann war es vielleicht der Sockendieb, der jetzt hier sein Unwesen treibt. Mit Verbrechern will ich auch nichts zu tun haben!”
“Klar. Weil der Sockendieb bestimmt auch noch ein richtig gefährlicher Serienmörder ist. Das wüssten wir doch längst, wenn es so wäre!”
Hugin plusterte aufgebracht sein Gefieder: “Aber was, wenn er sich in die Enge gedrängt fühlt und uns angreift?”
Strangelove zog eine Augenbraue hoch.
“Na ja, er klaut Socken. Wie gefährlich kann der schon werden?"
Es war mehr eine rhetorische Frage und Fuchs nickte bekräftigend.
“Also wenn wir uns dann jetzt alle einig sind”, sagte sie und holte aus der Tasche ihres langen Trenchcoats eine große Taschenlampe, “dann können wir mit den Ermittlungen fortfahren.”
Das Capybara zog Hugin, der sich nach wie vor sichtlich sträubte, einfach am Flügel die Treppe hinauf. Dieser ergab sich oben angekommen seinem Schicksal und schlich geduckt hinter dem Doc und Spyfox her.
“Also was wissen wir bisher?” wandte Strangelove sich im Gehen an Fuchs.
“Nicht besonders viel, wenn ich ehrlich bin. Seit Monaten verschwinden mehrmals pro Woche Socken von Patient:innen und Mitarbeitenden. Zwischen den Diebstählen gibt es aber keine erkennbaren Zusammenhänge. Ungefähr zeitgleich wurde immer mal wieder am Fenster in der obersten Etage ein blauer Lichtschimmer und eine Gestalt gesehen, die dort wohl durch die Gänge schleicht. Die oberste Etage ist ja gerade nicht zugänglich. Also eigentlich ein idealer Ort, um sich zu verstecken. Aber ob die beiden Gegebenheiten zusammenhängen, muss erst noch geklärt werden.”
“Und was habt ihr vorhin gesehen, dass die Flucht nötig war?”
Fuchs warf einen Seitenblick auf Hugin.
“Nichts. Beziehungsweise hat er sich selbst gesehen. Es steht allerhand Gerümpel dort oben. Möbel und Geräte. Und ein großer Spiegel. Vor seinem Spiegelbild hat er sich dann erschrocken, als er um die Ecke ging und ist gerannt.”
“Tut mir Leid”, gab Hugin, der sich immer noch halb hinter dem Doc versteckte, kleinlaut zurück.
“Na wenn das alles ist, was uns dort oben erwartet, dann bin ich ja beruhigt.”
Mit diesen Worten ging Strangelove etwas beschwingteren Schrittes voran.

Fuchs und Strangelove betraten den Flur des obersten Stockwerks. Hier sah es wirklich aus wie in einer Rumpelkammer. Möbel standen kreuz und quer verteilt. Defekt, gestapelt mit und ohne Abdeckung. Dazwischen immer wieder alte Gerätschaften, von denen Strangelove eigentlich dachte, dass er Anweisungen gegeben hatte, diese zu entsorgen. Vermutlich hatte Otter sie wieder hier hoch geschleppt, um daran herum zu basteln.
Bauschutt bedeckte den Boden fast vollständig. Und aus allen Ecken hörte man leises aber stetiges Tropfen. Ein sicheres Anzeichen dafür, dass das Dach in wohl mehr als schlechtem Zustand war. Auch der zuvor angesprochene große Spiegel stand tatsächlich direkt um die Ecke. Arg verstaubt, gab er ein eher vages Bild wieder. Strangelove konnte sich jedoch gut vorstellen, dass man, sollte man unvorbereitet auf dieses treffen, schon einen Schrecken bekommen konnte.
“Warum ist denn hier eigentlich nichts abgesperrt?”, fragte der Doc in die Runde, auch nicht recht wissend, wen er genau ansprechen sollte.
“Unten hängt ein großes Schild, dass das obere Stockwerk geschlossen ist. Es war auch mal Absperrband da aber das konnte ich vorhin nirgends mehr sehen.”
Fuchs leuchtete mit der Taschenlampe quer durch den Raum und ließ den Lichtkegel auch über den Boden wandern.
“Hier sind auf jeden Fall Fußspuren. Also noch mehr als unsere eigenen. Auf den meisten liegt allerdings schon neuer Staub.”
“Aber wenn sich hier jemand verstecken würde”, gab der Doc zu bedenken, “der regelmäßig durch das Krankenhaus wandert, um Socken zu klauen, müsste es frische Spuren geben.”
“Es ist also doch ein Gespenst!”, krächzte Hugin aufgeregt und verschwand noch etwas mehr hinter dem Capybara.
“Was soll denn ein Gespenst mit Socken?”, fragte der Doc den ängstlichen Reporter. “Also wirklich: Wie sind Sie Chefredakteur geworden?”
Hugin schaute bedrückt zu Boden.
“Na ja. Ich habe einfach sehr viele Schlagzeilen geschrieben. Und dann hatte ich den Job… irgendwie.”
Das muss dieser Qualitätsjournalismus sein, dachte Strangelove sich.
“Ich würde vorschlagen, dass wir uns jetzt gründlich umsehen. Wir bleiben zusammen und rennen auf jeden Fall NICHT panisch weg”
Mit diesen Worten schritt die furchtlose Ermittlerin mit ihrer Taschenlampe voran.
Strangelove und Hugin folgten ihr, da sie ohne das Licht der Lampe in völliger Dunkelheit zurückbleiben würden.

Man hätte meinen sollen, dass es hier oben totenstill sein müsste. Allerdings tobte draußen das Unwetter so heftig, dass der Wind durch das marode Dach durchpfiff und aus allen Winkeln der Dunkelheit ein Klappern, Rascheln und Tropfen zu hören war. Außerdem war sich Strangelove sicher hin und wieder das leise Tippeln von Pfoten oder Beinen zu hören, deren Besitzer:innen, aufgescheucht vom plötzlichen Licht der Besucher, das Weite suchten, um sich zu verstecken.
Sie untersuchten zuerst den linken Flügel des Gebäudes. Dort waren noch unzählige Zimmer für Patient:innen, denen eine längerer Aufenthalt bevorstand. Sie würden wohl jede Tür öffnen müssen.
“Wir teilen uns auf”, schlug Fuchs vor und drückte Strangelove eine zweite Taschenlampe in die Pfoten, “Ihr beiden geht zusammen und schaut in die Zimmer rechts, ich nehme mir die Türen auf der linken Seite vor. Untersucht jedes gründlich.”
Weder der Doc noch Hugin protestieren, es hätte ja doch keinen Zweck gehabt.
Tür für Tür arbeiteten sie sich also den dunklen Gang entlang. Die meisten Zimmer waren zweckmäßig eingerichtet und nahezu leer. Zwei bis drei Betten, dazugehörige Nachttische und ein kleiner Esstisch mit Stühlen gehörten zur Standard-Einrichtung. Alles war von einer dicken Staubschicht eingehüllt und Strangelove spürte das Kribbeln in seiner Nase bei jedem Schritt. In einigen Zimmern stand noch mehr Gerümpel herum, in anderen wurden offensichtlich noch Akten gelagert. Dass diese hier mittlerweile Nässe zogen und wohl nicht mehr zu gebrauchen waren, sollten sie noch länger hier verweilen, war offensichtlich. Aber auch nicht sein Problem. Er würde es Itze mitteilen, damit dieser sich um die Aufbewahrung und digitale Archivierung kümmerte. Bei dem Gedanken daran, dass der kleine Sheltie einen Berg von Akten mit ihrem Uralt-Scanner digitalisieren sollte, musste das Capybara unvermittelt laut lachen. Dieser unvorhergesehene Ausbruch von Gefühlen erschreckte Hugin so sehr, dass er mit einem lauten Krächzen einen Satz zurück machte und dabei gegen einen Nachttisch stieß. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte gegen das nebenstehende Bett, welches offenbar nicht ordnungsgemäß festgestellt war und sich ebenfalls in Bewegung setzte und mit einem lauten Knall gegen den nächsten Nachttisch rauschte. Wie eine riesige Kettenreaktion schob sich die komplette Einrichtung der Tür entgegen und versperrte diese, wobei sich Strangelove mit einem beherzten Hechtsprung noch in Sicherheit bringen konnte, bevor er zwischen zwei Betten eingequetscht wurde.
Nachdem sich das laute Gepolter und Gerumpel beruhigt und der aufgewirbelte Staub sich gelegt hatte, steckte Fuchs ihren Kopf zur Tür herein.
“Also wenn sich hier wirklich jemand versteckt, dann weiß er jetzt zumindest, dass wir auch hier sind”, schnaubte sie sichtlich genervt.
Der Doc kletterte über die Betten in Richtung Fenster, wo er Hugin vermutete. Der Rabe hatte sich in die Ecke gekauert und hielt die Flügel über seinen Kopf.
“Es tut mir Leid. Es tut mir Leid. OhGottOhGottOhGott”, murmelte er vor sich hin.
“Na na, das war ja auch ein bisschen meine Schuld” und das Capybara half ihm auf. Dabei fiel sein Blick aus dem Fenster in den Klinikgarten. Durch das schwache Licht, dass aus den großen Kantinenfenstern nach draußen gelangte, konnte er sehen, dass unten jemand stand und zu ihnen hoch schaute. Genau konnte er die Person nicht erkennen… aber sie hatte eine große, im schwachen Licht schimmernde Sense dabei. Ein Blitz durchzuckte den Himmel so grell, dass Strangelove für einen Augenblick geblendet wurde. Er kniff die Augen zusammen. Als die hellen Punkte hinter seinen geschlossenen Lidern aufhörten zu tanzen, öffnete er sie wieder und warf erneut einen Blick in den Park. Doch von der Gestalt war nichts mehr zu sehen. Wenn man Dinge zweimal sah, war es doch keine Einbildung mehr, oder? Er schüttelte den Gedanken ab und bahnte sich mit dem immer noch Entschuldigungen murmelnden Vogel einen Weg Richtung Tür.
Spyfox wartete schon ungeduldig auf die beiden im Gang. Grob klopfte sie beiden den Staub von den Klamotten
“Jemand verletzt?”
Beide schüttelten den Kopf.
“Gut. Ich habe jetzt alle Zimmer durchsucht. Hier ist niemand. Aber durch ein Fenster konnte ich auf die andere Seite des Gebäudes schauen und habe tatsächlich ein blaues Leuchten sehen können.”
“Auch den verrückten Sensenmann im Garten?”, fragte Strangelove vielleicht ein bisschen zu hoffnungsvoll, dass ihm jemand bestätigte, dass er nicht verrückt wurde.
“Wen?”
Der Doc winkte ab.
“Nun denn. Die andere Seite erwartet uns.”
Und ohne eine Antwort abzuwarten, stapfte sie den Gang zurück. Die beiden anderen folgten ihr wortlos mit gesenkten Köpfen und erhobener Taschenlampe.

Den rechten Flügel zu untersuchen, gestaltete sich erheblich schwieriger. Die Dichte an Gerümpel nahm extrem zu. Sie mussten sich durch Berge von alten Möbeln quetschen und ständig irgendwelche Gerätschaften aus dem Weg räumen.
“Sicher, dass hier regelmäßig jemand durchkommt?”, rief Strangelove Fuchs zu, “Das scheint mir doch ein sehr hoher Aufwand zu sein. Und es sieht nicht aus, als ob sich hier häufig jemand durchzwängt.”
“Ich sage das nicht gern, aber Sie haben wohl recht. Aber vielleicht gibt es noch einen anderen Zugang, den man einfacher benutzen kann. Die Lüftungsschächte beispielsweise...” und Fuchs leuchtete mit der Taschenlampe an die Decke.
“Na als ‘einfacher’ würde ich das aber nicht bezeichnen. Außerdem klettert der Otter doch ständig in den Schächten rum. Da wäre es ihm sicher aufgefallen, wenn da noch jemand wäre.”
Spyfox nickte nur und wischte sich eine Spinnwebe von ihrer breiten Hutkrempe.
Als sie sich endlich zur anderen Seite der Blockade gekämpft hatten, standen sie in einem etwas kürzeren Gang. Zu beiden Seiten waren noch wenige Patient:innenzimmer. Am Ende des Ganges war eine große Flügeltür, die zu einem ehemaligen Aufenthaltsraum führte.
“Das Leuchten habe ich vom Gang her gesehen. Wir sollten nun also sehr leise und vorsichtig sein”, bei diesen Worten bedachte sie vor allem Hugin mit einem strengen Blick, welcher den Kopf einzog und wieder anfing, einige entschuldigende Worte vor sich hinzumurmeln.
Gemeinsam gingen sie nun so leise wie möglich auf die erste Tür zu. Vorsichtig öffnete Fuchs diese und leuchtete in das Zimmer. Doch wie schon auf der anderen Seite, war auch dieses ein gewöhnliches Standard-Zimmer. Als sie die Tür leise wieder schloss, ertönte plötzlich ein unheimliches Kichern.
Ruckartig hoben alle 3 die Köpfe und Strangelove packte Hugin vorsichtshalber schonmal am Flügel, damit dieser nicht sofort wieder abhaute.
“Was war das?”, krächzte er leise mit angstvoller Stimme.
Spyfox legte den Finger an die Lippen und lauschte. Da! Das Kichern erklang erneut. Leise und dumpf. Es kam auf jeden Fall aus dem hinteren Teil dieses Ganges.
“Hier ist jemand”, stellte sie fest und deutete in die Richtung des Geräusches.
“Kam es aus einem der kleinen Zimmer?”, fragte Strangelove und versuchte genauer hinzuhören.
Fuchs schüttelte den Kopf: “Ich bin mir sicher, dass es aus dem Aufenthaltsraum kam.”
Wie zur Bestätigung, vernahmen sie das Kichern erneut, nun auch deutlicher.
Alle drei schauten sich an und nickten sich zu. Die Detektivin schaltete die Taschenlampe aus und Strangelove tat es ihr gleich. Dann bewegten sie sich vorsichtig auf das Gang-Ende zu. Strangelove und Fuchs drückten die große, schwere Flügeltür mit vereinten Kräften auf und hofften, dass diese möglichst kein Geräusch von sich geben würde. Nahezu lautlos schwang die Tür auf und die Gruppe schlüpfte in den ehemaligen Aufenthaltsraum.
Zunächst sahen sie überhaupt nichts und der Doc musste den Impuls unterdrücken, den Knopf der Taschenlampe direkt wieder zu drücken. Als seine Augen sich langsam an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er aus dem hinteren Teil des Raumes ein sehr schwaches, blaues Leuchten.
Er spürte, wie jemand auf seine Schulter tippte. Fuchs bedeutete erneut, dass sie leise sein sollten und zeigte auf das blaue Licht. Ganz langsam gingen sie darauf zu. Das Kichern war immer noch zu hören und wurde nun auch lauter. Strangelove spürte, wie Hugin, den er immer noch festhielt, vor Angst zitterte und hörte seinen Schnabel leise klackern.
Als das Licht etwas heller wurde erkannten sie, dass es sich um eine Art Burg aus alten Matratzen, Kissen und Decken handelte. Wohl zusammengesammelt aus den ungenutzten Zimmern. Strangelove hatte gedacht, dass die Textilien damals vielleicht einfach aus den Räumen geholt worden waren, damit diese dort nicht vor sich hin gammelten. Aber offensichtlich waren sie diesem Schicksal entkommen und zweckentfremdet worden. Eine besonders große Matratze bildete wohl den Eingang, zumindest war sie im Gegensatz zu allem anderen freistehend und sah auch mehr wie eine Pforte aus. Fuchs gab dem Doc ein Zeichen. Dieser stellte sich gegenüber der Matratze auf und hob die noch ausgeschaltete Taschenlampe, während die Detektivin mit aller Kraft an der Matratze zog und so den Eingang freigab. In dem Moment, schaltete den Doc die Taschenlampe ein und hielt sie dem entgegen, was auch immer sie dort erwartete.
“Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaah!!!!!” hörte man einen lauten Schrei und dann dumpfes Gerumpel, als wäre etwas Großes aber Weiches umgefallen.
“Hände hoch und rauskommen!”, rief Spyfox, nun ebenfalls die eingeschaltete Taschenlampe in die Höhle gerichtet.
“Hihihi wer seid ihr denn? Die Polizei?”, hörte man gedämpftes Gekicher.
Die Lichtkegel der Taschenlampen offenbarten einen riesigen Haufen Socken. Es mussten wirklich Hunderte sein. Und mittendrin bewegte sich etwas. Hugin hatte sich wieder hinter dem Doc versteckt und lugte nur ganz vorsichtig über dessen Schulter.
Nach einigem Wühlen erhob sich eine Gestalt aus dem Sockenhaufen, die tatsächlich ein schwaches, blaues Licht von sich gab.
“Sebu?”, fragte Doch ungläubig, als er endlich erkannte, wen er da vor sich hatte.
Erneut erklang ein Kichern.
“Ach, der Chef persönlich! Tag auch!”
Vor ihnen, aus dem Sockenberg, war der seit Wochen verschwundene Anästhesist herausgekrochen. Strangelove hatte geglaubt, dass dieser einfach sehr lange krank gewesen war. Und außerdem verlor er recht schnell den Überblick, wer da war und wer nicht, wenn er niemanden sah.
“Waren Sie die ganze Zeit hier? Sie sind seit Wochen verschwunden!”
“Ach so lange schon? Die Zeit verfliegt, wenn man Spaß hat” und er kicherte erneut.
Hugin hatte das ganze mit offenem Schnabel beobachtet.
“Ich versteh gar nichts mehr”, krächzte er nun sehr verwirrt.
“Keine Sorge, ich kann das aufklären”, rief Fuchs mit unverhohlenem Stolz in der Stimme.
Sie kramte etwas aus dem Nest hervor und leuchtete es mit der Taschenlampe an. Es war eine kleine Dose Distickstoffmonoxid, “Unser guter Sebu hier ist Lachgas süchtig.”
Erneut kicherte der Anästhesist.
“Aber aber. Ich bin nicht süchtig. Ich hab ab und an nur eine gute Zeit!”
“Und Kleptomane ist er auch noch”, erzählte Fuchs ungerührt weiter.
“Er klaut Socken. Ich habe mich leider erst jetzt wieder daran erinnert, aber ich habe ihn mal dabei beobachtet, als ich noch hier gearbeitet habe. Allerdings war das in der Nachtschicht und ich habe mir nichts dabei gedacht, als ich ihn mit 3 verschiedenen Socken durch die Gänge huschen sah.”
Ungläubig starrte Strangelove immer noch auf die Szenerie vor ihm.
“Die zunehmenden Diebstähle und der zunehmende Lachgaskonsum haben ihn wohl dazu gebracht, sich hier oben zu verschanzen. Er wusste ja, dass hier niemand herkommt.”
“Aber wie ist er denn unbemerkt so oft hier ein- und ausgegangen?" fragte Hugin.
“Auch dafür gibt es eine einfache Erklärung” und Fuchs richtete ihre Taschenlampe auf die Wand neben der Deckenburg.
“Der alte Speiseaufzug!”, rief Strangelove verblüfft.
“Der wird seit Jahren nicht mehr benutzt”, erklärte Spyfox, “und meist steht auch immer irgendwas davor. Was natürlich eine gute Tarnung ist. Allerdings war nie offiziell bekannt, dass er nicht mehr funktioniert. Man hat ihn nur einfach aus modernen Gründen nicht mehr genutzt.”
“Die Geräusche, die die Leute gehört haben!”, rief Hugin jetzt, “Das war das Rattern des Aufzugs!”
Die Detektivin nickte zufrieden: “Wenn man nicht weiß was es ist, dann lässt sich das Geräusch nicht zuordnen. Aber rückblickend hätte man es eigentlich leicht herausfinden können.”
Vergnügt vor sich hin kichernd, verfolgte Sebu die Ausführungen.
“Aber jetzt bleibt noch zu klären, woher das blaue Licht kommt, was wir vorhin auch noch gesehen haben”, und Hugin schaute sich um.
Erneut wühlte Fuchs in dem Sockenberg und holte ein kleines, schwach blau leuchtendes Nachtlicht hervor. Es hatte die Form eines Gespenstes.
“Oh, the irony”, schmunzelte Strangelove.
Das Capybara schaute sich um. Hier oben war wirklich alles in sehr schlechtem Zustand. Die Bodenbeläge waren ausgetreten und kaputt. Und auch die Fenster waren teilweise abgeklebt worden, weil diese wahrscheinlich mehrere Kratzer und Löcher aufwiesen. Wie hatte es Sebu so lange hier oben ausgehalten?
“Will ich eigentlich wissen, woher der ganze Lachgas-Nachschub kam?”, wandte er sich an den kichernden Anästhesisten.
“Das ist mein Beruf!”, rief dieser vergnügt.
Vermutlich hatte er einfach auf den Bestelllisten ein bisschen was verändert und das Zeug für sich selbst abgezweigt.
Seufzend trat Strangelove an eines der großen Fenster, die zum Krankenhausgarten zeigten. Er fühlte sich - wie immer - unendlich müde. Er würde gerade alles für einen Kaffee geben. Erschöpft, stützte er sich auf dem Fensterbrett ab.
“Oh, das würde ich nicht tun, das Fenster ist nicht richtig zu und - “

Krach

Mit einem lauten Geräusch zerbrach das morsche Holz des Fensterbretts und Strangelove, das Gleichgewicht verlierend, stürzte nach vorn.
Verzweifelt versuchte er noch, irgendwo Halt zu finden und sich festzuklammern. Er bekam einen Mauervorsprung zu fassen. Doch durch den Regen war das Festhalten an diesem mehr als schwierig. Strangelove mobilisierte seine letzten Kraftreserven, um sich hochzuziehen. Doch seine Beine fanden keinen unterstützenden Halt und er rutschte ab. Als er sich erneut festhalten wollte, griffen seine Pfoten ins Leere. Er hörte noch, wie Fuchs und Hugin nach ihm riefen und Richtung Fenster rannten. Doch er fiel.
So geht es nun also zu Ende, dachte Strangelove. Das hatte er sich auch irgendwie anders vorgestellt. Er schloss die Augen und ein Lied erklang in seinem Kopf:

It hurts
Every time we fall
But your worth
Doesn't change at all

Nach einer gefühlten Ewigkeit vernahm er ein leises “Fump!” und landete bemerkenswert weich. Er spürte, wie der Regen seinen Arztkittel durchnässte und ihm sofort kalt wurde. Aha, selbst im Tod ist also alles noch mist. Hätte er sich auch denken können.
“Na das war aber ganz schön knapp, was?”, hörte er eine Stimme über sich, die ihm sehr bekannt vorkam.
Vorsichtig öffnete Strangelove die Augen und schaute in das breite Grinsen von Rob. Der große, muskulöse Gärtner trug das Capybara in seinen Armen. Offenbar hatte er ihn einfach aufgefangen, als er aus dem Fenster gefallen war. Verwirrt schaute der Doc sich um.
“Was machen Sie hier? Und warum haben Sie kein Shirt an? Wo ist der Sensenmann?”
Der Gärtner lachte laut.
“Falls Sie den Tod meinen, den hab ich hier nicht gesehen. Falls sie das wortwörtlich meinen, dann war ich das wohl. Das war mein Halloween-Kostüm. Und ich bin der Gärtner, wo soll ich sonst sein als hier draußen. Muss doch sicherstellen, dass bei dem Unwetter alle Pflanzen unbeschadet bleiben.”
War das ein Zeichen? Hatte der Chefarzt noch einmal Glück gehabt in seinem Leben? Auch wenn Robs Arme ihm ein wenig Wärme spendeten, so wurde ihm doch zunehmend kälter und er fing an zu zittern.
“Ich würde vorschlagen, wir gehen erstmal in meine Hütte und Sie wärmen sich auf. Ich mache Ihnen auch einen starken Kaffee. Ohne Chili!”, fügte er hastig hinzu, als der Doc schon protestieren wollte.
“Einverstanden. Lassen Sie mich runter, damit ich selber laufen kann?”
Der Gärtner lachte erneut: “Auf keinen Fall!”
Und so trug er Dr. Strangelove in seinen Armen in Richtung der kleinen Gartenhütte.

end-scene

Fußnoten:
umma flaniern = durch die Gegend spazieren
Heast! = Hören Sie zu!

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„TheFellows“ ist ein kleines Nebenprojekt, ins Leben gerufen, um die großartige Community auf dem Discord-Server „Fellowship of Marah“ zu feiern. In diesen kreativen Gefilden entstehen regelmäßig Schätze, die es wert sind, gesammelt zu werden. Marah ist Streamerin und sorgt seit 2015 bei Rocket Beans TV für gute Unterhaltung.