
Verbotene Spritzen: Die Geheimnisse der Krankenhausgang - Teil 1
Ein neuer Tag beginnt für Dr. Strangelove im Klinikum St. Marah. Doch schon auf dem Weg ins Krankenhaus beobachtet er etwas, was ihm mehr als seltsam vorkommt. Und dann benehmen sich alle Mitarbeiter:innen noch komischer als sonst. Wird er dem Geheimnis auf die Spur kommen?
Das laute Klingeln des Weckers warf Dr. Strangelove unsanft aus dem wohlverdienten Schlaf. Müde blinzelte er in die Sonnenstrahlen, die vereinzelt durch die Jalousien in sein Zimmer fielen. Der Schlaf war zwar tief und traumlos gewesen, jedoch weit entfernt von erholsam. Würde er jemals wieder nicht müde sein?
Wahrscheinlich nicht. Langsam rollte er sich aus dem Bett, setzte seine Brille auf und schlurfte in die kleine Küche seiner Wohnung. Wie automatisch nahm er die bereits bis zum Rand mit Kaffee gefüllte, riesige Tasse unter dem Automaten hervor. Eine Zeitschaltuhr am Kaffeeautomaten anzubringen war die beste Idee seines Lebens gewesen und jeden Morgen lobte er sich, beim ersten Schluck des dampfenden Elixiers, wieder einmal selbst dafür. Noch mit der Tasse in der Hand, tappte er ins Badezimmer, um sich fertig zu machen. Er stellte den Kaffee auf den kleinen Vorsprung unterhalb des Fensters und schaute nach draußen, während sich der Kaffeeduft langsam im Raum ausbreitete. Draußen war natürlich wieder das beste Wetter und die Sonne schien bereits so hell und schön, als wollte sie den Doc verhöhnen. Seufzend drehte er sich zum Waschbecken und schaute sein sehr müdes, zerknautschtes Ebenbild an, das ihm aus dem Spiegel entgegenblickte. Er patschte sich mit den Pfoten ins Gesicht. Es half ja alles nichts. Er öffnete den Wasserhahn über seinem großen Badezuber und ließ heißes Wasser hinein. Dazu kippte er noch eine Kiste Mandarinen. Als die hölzerne Wanne vollgelaufen war, drehte er die Wasserzufuhr ab und begab sich in das dampfende Nass. Augenblicklich döste er weg, bis ihn die kalte Hand der Realität griff und er sich unweigerlich seinem Arbeitsweg widmen musste. Er zog den Stöpsel aus der Badewanne, kletterte heraus und trocknete sich mit einem kuschelig weichen Handtuch ab. Dann warf er sich seinen halbwegs sauberen Arztkittel über, trank seinen Kaffee aus und verließ auch schon die Wohnung. Er war ein einfaches Capybara.
Auf dem Weg zur S-Bahn kaufte er sich bei einer kleinen Bäckerei noch 3 Kaffee – einen kippte er direkt, die anderen beiden nahm er mit. Außerdem erstand er in einem schwachen Moment noch ein Franzbrötchen. Allerdings sah es mehr aus wie ein Croissant mit Zimt, auf das sich jemand draufgesetzt hatte. Schmeckte auch so. Am Gleis angekommen, stieg er an der Haltestelle, mit gefühlt allen anderen Leuten der Stadt, in die völlig überfüllte Bahn Richtung Klinikum. Er achtete sorgsam darauf, dass in dem Gedränge kein Tropfen des Kaffees verschüttet wurde. Die beiden Becher fest an die fellige Brust gedrückt, schaute das Capybara sich um und begutachtete die anderen Fahrgäste. Man sah ja jeden Morgen die unterschiedlichsten Menschen. Und meistens hatte er das Gefühl, dass keiner davon besonders hervorstach. Heute war das jedoch anders: Etwas weiter hinten im Wagen stand ein gut gelaunter, junger Mann… in einem Karate-Anzug. Er trug sogar ein passendes schwarzes Stirnband. Vorsichtig hob Dr. Strangelove einen der Becher und nippte an seinem Kaffee, während er weiter beobachtete.
Der besondere Fahrgast wirkte sehr vergnügt, wippte häufiger auf und ab und schaute freudestrahlend aus dem Fenster. Wahrscheinlich summte er dabei auch noch. Verrückt, wie man so früh am Morgen so hervorragend gelaunt sein kann, dachte der Doc sich. Er stach so überdeutlich zwischen all diesen Menschen hervor, die müde oder schlecht gelaunt, dicht an dicht im Fahrzeug standen oder saßen. Und wie der Zufall so wollte, stiegen der Fröhliche und der mürrische Doc an der gleichen Haltestelle aus. Mehr noch: Sie hatten offenbar auch das gleiche Ziel, denn Strangelove folgte dem Karateka auf seinem Weg. Kurz bevor sie in die Straße des Klinikums einbogen, veränderte sich die Situation plötzlich. Der junge Mann wirkte nun nicht mehr fröhlich und beschwingt. Er fiel regelrecht in sich zusammen und begann sogar zu humpeln. Der Doc blieb stehen. Tatsächlich beobachtete er nun, wie sich Karate Kid nun förmlich in die Klinik schleppte und mit augenscheinlich letzter Kraft die große Eingangstür aufdrückte und dahinter verschwand.
Verdutzt und unschlüssig schaute Strangelove zum Krankenhaus. Was war er denn hier nur sehend?
Langsam schüttelte er den Kopf und ging nun ebenfalls Richtung Eingang.
Kurz bevor er mit seinen Pfoten die große Tür öffnen konnte, sprang jemand aus einer der hohen Hecken daneben.
„Guten Morgen Doc!“ rief Rob fröhlich. Der gut gelaunte, riesige Gärtner war über und über mit Zweigen und Blättern bedeckt.
Aus seinen Gedanken gerissen, war Dr. Strangelove nun vollends verwirrt und hätte vor Schreck auch beinahe seinen Kaffee fallen lassen.
„Äh… ja… guten Morgen, Rob!"
„Schön Sie zu sehen! Sie scheinen müde zu sein. Möchten Sie meine neuste Kaffee-Kreation testen? Die macht Sie garantiert wach!“, dabei zwinkerte er dem Capybara zu und wedelte mit einer Thermoskanne herum.
Der Doc prüfte seine Kaffeebecher, trank den leereren aus und hielt ihn dem Gärtner hin. Dieser schraubte den Deckel der Kanne ab und goss die dampfende Flüssigkeit vorsichtig in den Becher. Prüfend hob Strangelove selbigen an seine Nase und schnupperte daran. Roch nach Kaffee. Er prostete Rob zu und nahm einen großen Schluck. Sofort fing er an zu husten und spuckte das Gesöff wieder aus, als sich ein brennendes Gefühl in seiner Kehle ausbreitete.
„Hilfe“, würgte er hervor, „Was zur Hölle ist da drin?“
„Chilis! Aus eigenem Anbau!“, verkündete Rob stolz und strahlte übers ganze Gesicht.
„Sie bauen Chilis an?“
„Na klar! Hier im Klinik-Garten. Auch anderes Gemüse. Kaffee auch. Und dann wird ein wenig herumexperimentiert.“
Der Doc atmete schwer und trank nun aus seinem zweiten Becher den normalen Kaffee. Langsam legte sich das Brennen wieder.
„Das war scheußlich. Glaub ich.“ Er wischte sich mit der Pfote über die Stirn, auf der sich ein paar Schweißtropfen gebildet hatten. Wach war er nun allerdings tatsächlich.
„Aber etwas anderes: Haben Sie den Typen im Karate-Anzug reingehen sehen?“
Der Gärtner nahm einen großzügigen Schluck aus der Thermoskanne, ohne dabei mit der Wimper zu zucken. Danach schraubte er sie sorgfältig zu und ließ sie in seiner grünen Latzhose verschwinden.
„Nope!“, sagte er und wandte sich zum Gehen, „Ich muss jetzt auch wieder. Ich kann heute vielleicht noch Paprika ernten. Lurchi wollte die für die Kantine haben. Tschüss Doc!“
Und Strangelove sah dabei zu, wie Rob unter lautem Rascheln wieder in der Hecke verschwand.
Warum sind denn hier alle so? fragte er sich, während er nun endlich das Krankenhaus betrat. Nicht ohne vorher den verbliebenen Chili-Kaffee in den nächstbesten Busch zu kippen. Kaffee mit Mayonnaise schön und gut – aber das ging zu weit!
Am Empfang saß ein gut gelaunter Itze, der an einem Kex knabberte. Wie immer wurde das klingelnde Telefon ignoriert und seine kleinen Pfoten klackerten auf der Tastatur. Als er aufschaute sah er, wie der Doc sich suchend umblickte, sobald er den Empfang betreten hatte.
„Moin Chef!“, rief er ihm zu, „Suchen Sie jemanden?“
Stirnrunzelnd kam das Capybara zum Tresen und stellte seine beiden – nun leeren – Kaffeebecher ab.
„Sag mal Itze, ist hier vor ein paar Minuten ein junger Mann im Karateanzug reingekommen?“
Der kleine Sheltie legte den Kopf schief, wobei der Wikingerhelm zwischen seinen Ohren leicht verrutschte.
„Mhm“, mümmelte Itze an seinem Kex.
„Darf ich mal die Aufnahmeprotokolle sehen?“
Schon kramte Itze auf dem Schreibtisch herum. Nach kurzem Suchen reichte er dem Doc den Ordner für die laufende Woche.
Strangelove schlug ihn auf und blätterte darin herum. Es gab schon einige Patient:innen, die heute Morgen aufgenommen wurden. Für die letzten Minuten gab es mehrere Einträge. Darunter auch ein junger Mann, der wegen einer Beinverletzung ins Krankenhaus gekommen war.
„Küchen, Hubertus“, las er leise vor, „Wo ist der jetzt?“, fragte er Itze.
„Ähm…“, es wurde kurz mehrfach mit der Maus geklickt, „Im Behandlungsraum 2. Schwester Sabimon kümmert sich um ihn.“
Der Doc warf Itze den Ordner über den Tresen zurück, der ihn geschickt auffing, ohne dabei den Rest der schwedischen Leckerei fallen zu lassen. Entschlossen ging Strangelove in Richtung der Behandlungsräume, ohne sich noch einmal umzusehen. So entging ihm auch, wie Itze hektisch das Telefon abhob und wieder auflegte, damit es nicht mehr klingelte. Dann wählte er schnell eine Nummer und schaute dem Doc hinterher.
Im Krankenhaus herrschte heute mäßiger Betrieb. Hier und da huschte Pflegepersonal über die Gänge, welches den Doc im Vorbeigehen grüßte und dieser ihnen seinerseits zunickte. Einige wenige Patient:innen waren ebenfalls unterwegs, allein oder in Begleitung ihrer Angehörigen, wahrscheinlich auf dem Weg in die Kantine oder den Klinik-Garten. Hoffentlich verteilte Rob seinen Chili-Kaffee nicht an ahnungslose Patient:innen. Oder an sonst irgendwen.
Gerade als Strangelove um die Ecke in den Gang mit den Behandlungsräumen einbiegen wollte, kam ihm aus eben dieser Richtung jemand entgegen. Es war Schwester Fuchs – allerdings nicht in Arbeitskleidung. Und noch bevor er etwas sagen konnte, fiel sie ihm schon ins Wort: „Aha! Genau der, den ich treffen wollte. Hier“ und sie drückte ihm ein Schriftstück in die Pfoten, „meine Kündigung.“
Völlig überrumpelt starrte der Doc erst sie, dann das Blatt Papier und dann wieder Fuchs an.
„Wie… Kündigung?“
„Na Kündigung eben! Das ist doch wohl eindeutig!“ schnaubte sie.
„Aber warum?“
„Das ist mir hier alles nichts mehr. Ich habe meine wahre Berufung gefunden!”
Sie kramte in der Tasche ihres langen Trenchcoats und reichte dem Doc zusätzlich noch eine Visitenkarte.
„Detektei Spyfox – ich löse jeden Fall raketenschnell“ stand darauf.
„Wirklich?“, er hob eine Augenbraue, „eine Detektei?“
Fuchs nickte ernst. „Ich habe in der Vergangenheit schon einige kleine Geheimnisse lüften können. Und ich habe gemerkt, dass mir das mehr liegt als all das hier“, und sie machte eine ausladende Geste.
„Nun dann … viel Erfolg?“, erwiderte der Doc, noch immer etwas verwundert ob dieses neuen Werdegangs.
Sie schüttelten sich die Pfoten. Dann eilte Fuchs davon, während sie sich im Gehen einen breitkrempigen Hut tief ins Gesicht zog, welchen sie zuvor von einem Garderobenständer im Flur genommen hatte.
Unschlüssig stand der Doc nun im Gang. In der Hand Fuchs‘ Kündigung und die Visitenkarte.
„Kann denn hier nicht ein Tag mal normal ablaufen?“ fragte er laut in den leeren Korridor hinein. Da er keine Antwort erwartete, stopfte er die beiden Papiere in seine Kitteltasche und setzte seinen Weg fort.
Als er nun endlich die Behandlungsräume erreichte, blieb er vor Raum 2 stehen. Die Tür war nur angelehnt und man konnte gedämpfte Stimmen hören. Er neigte den Kopf, sodass sein Ohr näher am Türspalt war, um dem Gespräch dahinter lauschen zu können.
„Na ja und dann hat’s jedenfalls doll gezogen im Bein und jetzt kann ich kaum laufen. Und diese Schmerzen im Brustkorb gehen auch einfach nicht weg“, hörte er eine junge, männliche Stimme in sehr bemitleidenswertem Ton.
„Ach Herr Küchen, ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass das mit dem Karate irgendwann schon urg'fährlich* wird“, entgegnete Schwester Sabi einfühlsam.
„Hubert bitte, Schwester Sabimon. Wir kennen uns doch schon!“
Der Doc lugte nun durch den Türspalt. Da saß der angeblich verletzte Karateka auf der Behandlungsliege und erzählte der Dino-Dame von seinem Leid. Diese wiederum wuselte durchs Zimmer, um allerlei Dinge für die wohl anstehende Behandlung zusammenzusuchen. Geschickt öffnete sie, trotz ihrer kurzen Arme, die zahlreichen Schubladen und Schranktüren, als hätte sie noch nie etwas anderes getan.
„Ach, ich finde hier überhaupt nichts“ rief der T-Rex empört „Wenn doch nur Fuchs noch da wäre. Aber sie hat gekündigt, um jetzt eine Detektei zu eröffnen. Da bin ich ja schon etwas neidisch.“
„Wollen Sie hier etwa nicht mehr arbeiten?“ erkundigte sich Hubert und etwas schwang in seiner Stimme mit. War das Angst?
Sabi schüttelte den Kopf. „Nein. Ich werde hier gebraucht.“ Wobei sie Hubert einen liebevollen Blick zuwarf, dessen Miene sich vor Erleichterung aufhellte.
Der Doc hatte genug gesehen. Als er im Begriff war, die Tür ganz öffnen zu wollen, rannte Doktor Etro auf ihn zu, packte ihn und zog ihn vom Behandlungsraum weg.
„Doc! Schnell! Ein Notfall!“ rief der Chirurg völlig außer Atem.
Noch ehe Strangelove etwas erwidern konnte, schleifte er ihn am Ärmel schon den Gang zurück in die Richtung, aus der er gerade gekommen war. Und gemeinsam eilten sie in Richtung der OP-Räume.
„Was ist denn überhaupt los?“ japste der Doc, während sie auf die Tür zum Operationssaal 2 zuliefen. Ohne zu antworten, stieß Etro die Tür auf und trat zur Seite. Vor Strangelove breitete sich ein Bild des absoluten Chaos aus. Etliche Kabel hingen herausgerissen und teilweise funkensprühend von der Decke. Ein Waschbecken war zertrümmert und in einer kleinen Fontäne trat nun stetig Wasser aus. Eine Lampe lag auf dem Boden – zersplittert in tausend kleine Teile. Und generell hatte sich so ziemlich die ganze medizinische Einrichtung über den gefliesten Fußboden verteilt. Und mittendrin standen Otter und Belli. Natürlich.
Mit ausdruckslosem Blick starrte das Capybara die Unruhestifter an.
„Was?“
Die Mitarbeiter warfen sich einen kurzen Blick zu. Dann begannen beide gleichzeitig sehr schnell zu reden.
„Also eigentlich wollte ich nur das Licht reparieren, was hier seit Wochen nicht geht. Dabei ist mir vielleicht die Säge ausgerutscht, hat ein paar Kabel durchtrennt und dann ist die Lampe runtergefallen. Ich habe Belli angerufen, weil ich hier Platz brauchte…", sprudelte es aus dem Otter hervor.
„Und ich kam dann natürlich so schnell wie möglich und wollte mal ein bisschen für Ordnung sorgen, also habe ich einen kleinen Sprengkörper hier in der Mitte platziert, um alles schnell zur Seite zu fegen und dabei hat irgendwas das Waschbecken getroffen und…“ Belli gestikulierte beim Reden in alle möglichen Richtungen, während er in einer Hand wohl noch einen weiteren Sprengkörper hielt.
Der Doc schloss die Augen, atmete tief ein und zählte bis 10. Beim anschließenden Ausatmen öffnete er die Augen wieder und starrte die beiden, nun verstummten, Unruhestifter an.
„Ich habe gerade wirklich Wichtigeres zu tun, als mich um diesen Quatsch zu kümmern. Ihr räumt das hier auf – AUF KONVENTIONELLE ART“ rief er, als Belli ein Feuerzeug aus der Tasche holte und im Begriff war, den zweiten Sprengsatz zu zünden.
„Und dann repariert ihr alles. Oder lasst es von mir aus reparieren. Schadensprotokoll an Herrn Bergy, der kann dann ausrechnen, was das wieder alles kosten wird und woher wir das bezahlen.“
Strangelove wandte sich zum Gehen.
„Und es wäre wirklich schön“, fügte er hinzu, „Wenn wir vielleicht nicht jeden Tag damit rechnen müssten, dass ihr dieses Krankenhaus in Schutt und Asche legt!"
Auch wenn das viele meiner Probleme lösen würde, fügte er in Gedanken noch hinzu.
Missmutig verließ er den OP-Raum und stapfte wieder zurück Richtung Behandlungsräume. Dort angekommen, traf er aber niemanden mehr an, denn das Zimmer war leer. Neugierig schaute er sich darin um. Es gab keine Anzeichen, dass hier vor kurzem noch jemand gewesen, geschweige denn in Behandlung war. Ein Blick in den Mülleimer verriet ihm aber, dass hier mindestens eine Injektion verabreicht wurde. Das sagten ihm zumindest die kleinen Alkoholtupfer und Pflasterstreifen. Er schaute in den durchstoßsicheren Behälter – dort war tatsächlich eine kleine, unbeschriftete Kanüle zu sehen. Sehr merkwürdig. Hatte der junge Mann doch etwas ernsteres gehabt? Aber seit wann waren die Kanülen denn unbeschriftet? In Docs Kopf tauchten immer mehr Fragezeichen auf. Er begann, auf und ab zu gehen und überlegte, wie er dieses Rätsel lösen konnte. Wie zufällig stieß er dabei an die Maus des PCs, welcher sich im Behandlungsraum befand. Der Bildschirm war schwarz gewesen, als er hereinkam, weshalb er dachte, dass dieser ausgeschaltet war. Aber offenbar war er nur nach wenigen Minuten in den Ruhemodus gewechselt. Er rief das krankenhausinterne Programm auf und schaute in die digitale Patient:innen-Akten. Schnell fand er, wonach er suchte und öffnete die Akte des Patienten, der sich gerade eben noch hier befunden haben musste.
Und er staunte nicht schlecht. Der Karateka war in den letzten Monaten fast ständig hier gewesen. Und immer wegen irgendwelchen anderen Dingen. Mehrfach auch wegen den gleichen oder ähnlichen Symptomen. Auffällig waren mehrere Dinge: Jedes Mal war er von Schwester Sabimon behandelt worden, die verabreichten Medikamente waren allerdings immer von Fuchs gebracht worden, welche diese direkt aus dem Labor im Keller hatte – dabei wurde aber nie erwähnt, um welche Medikation es sich handelte. Von Tabletten bis Injektionen war da aber alles dabei gewesen.
Da er Fuchs nun nicht mehr fragen konnte und die Medikamente, für was auch immer, alle ausnahmslos aus dem Labor kamen, schlug er nun einen neuen Weg der Nachforschung ein.
Er verließ das Behandlungszimmer und begab sich ohne Umschweife zum Fahrstuhl. Nach kurzem Warten und dem vertrauten „Pling“, öffneten sich die Türen und er stieg in die große Kabine mit dem weißen, kalten Licht ein. Er kramte seinen Mitarbeitenden-Schlüssel hervor und steckte ihn in das kleine Schloss neben dem Bedienpult. Nach einem Rechtsdreher drückte er die Taste für den Keller. Als diese aufleuchtete, drehte er den Schlüssel zurück und zog ihn wieder heraus. Gerade als er ihn wieder in der Tasche verstauen wollte und die Fahrstuhltüren schon langsam zu gingen, stürzte sich noch jemand durch den schmalen Spalt, bevor sich die Türen endgültig schlossen.
Außer Atem und die schwarzen Flügel an die Seiten gepresst, stand Hugin japsend im Fahrstuhl. Der schwarzgefiederte Rabe öffnete mehrfach den Schnabel, um den Doc zu grüßen, beließ es dann aber bei einem kurzen Gruß mit den Flügelspitzen. Strangelove nickte ihm zu und fragte: „Wohin des Weges, rabender Reporter?“
„Ich… will… ganz nach… oben“, würgte er nun hervor, während sich seine Atmung langsam beruhigte.
„Ja nun. Wir fahren erstmal in den Keller. Aber ich kann ja schonmal drücken“, und der Doc betätigte auch noch die Taste für das oberste Stockwerk.
„Was gibt es da oben denn?“
„Brandheiße Gerüchte!“, krähte der Rabe aufgeregt, „es soll seit ein paar Tagen jetzt schon mehrfach ein Gespenst gesehen worden sein. Also natürlich nur nachts, aber ich will mich schonmal umschauen. Vielleicht entdecke ich ja was.“
Auch wenn Strangelove zugegebenermaßen ein wenig interessiert war, so hielt er es für das Beste, diese Geschichte auf einen anderen Tag zu verschieben. Er hatte genug zu tun.
„Hier“, sagte er, als sie im Keller ankamen. Während die Türen sich langsam öffneten, drückte er Hugin die Visitenkarte von Fuchs in die Hand, „Falls Sie damit Hilfe brauchen, kann Spyfox Ihnen jetzt sicher helfen.“
Etwas verwirrt schaute der Rabe auf die Visitenkarte. Aber noch ehe er etwas erwidern konnte, hatte sich der Fahrstuhl bereits geschlossen und war schon wieder auf dem Weg nach oben.
Die Augen des Capybara brauchten einen kurzen Moment, um sich an das schummrige Licht im Keller zu gewöhnen. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken, kam ihm die Situation doch seltsam vertraut vor. Er schaute sich um und entdeckte ein Schild, das ihm den Weg zum Labor wies. Ohne zu zögern setzte er sich in Bewegung und tappte den dunklen Gang entlang.